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AutorenbildCorinna H

Irgendwas mit Feedback

Über offene Kritik und Feedbackkultur

Ich habe mal die Jugendsünde begangen, in einem Vorstellungsgespräch für eine IT-Position die Gehaltsvorstellungen des Kandidaten abzufragen, obwohl neben dem Bewerber und dem Hiring Manager auch ein Teammitglied anwesend war. Nach dem Gespräch schnappte mich der Hiring Manager ohne Umschweife und mit den folgenden Worten: “Corinna, ich möchte dir jetzt Feedback geben: Wenn Teammitglieder im Gespräch anwesend sind, fragen wir die Kandidaten nicht nach den Gehaltsvorstellungen, das schafft Unruhe im Team. Bitte mach das nicht wieder.” Das saß. Dabei war der Kollege weder unfreundlich gewesen noch waren Dritte dabei. Ich hatte nur noch nie so unmittelbares Feedback bekommen und stand wie ein Schulmädchen mit knallrotem Kopf vor dem Meetingraum. Aber eigentlich war es das beste Feedback, das ich jemals bekommen habe: keine Schönfärberei, keine Sandwichtaktik, bei der man sich die relevanten Kritikpunkte mühsam rauspicken muss, kein Verpetzen beim Chef, damit der das dann regelt oder in einem formalen Feedbackgespräch Monate nach dem Vorfall anspricht, wenn keiner mehr weiß, was genau eigentlich los war. Es war eine reine Sachinformation direkt nach der Handlung, verbunden mit einer Erklärung und der Bitte, zukünftig anders zu agieren. Seither behandele ich das Gehaltsthema mit der größtmöglichen Sensibilität und zucke oft genug selber zusammen, wenn unbedarfte Junior-Recruiter fröhlich in großer Runde über solche vertraulichen Themen plaudern.

Abgesehen von dem In-Your-Face-Effekt: Warum geben wir uns eigentlich nicht immer so unmittelbar Rückmeldung? Normalerweise gibt es ein bis zwei formale Feedbackgespräche im Jahr. Für die hat man umfangreiche Fragebögen zur Selbst- und Fremdeinschätzung, geclustert nach Kompetenzen, Potentialen, Entwicklungsfeldern… ihr wisst, was ich meine. Was dafür dann in der halben Stunde Vorbereitungszeit hektisch ausgekramt wird, sind Momentaufnahmen, nämlich die Erfolge und Verfehlungen, die dem Chef aus den letzten Monaten in Erinnerung geblieben sind. Das Problem dabei ist, dass wir uns vor allem an Extreme erinnern. Wann hat ein Vorgesetzter schon Zeit und Lust, über die Tagesform seiner Mitarbeiter Buch zu führen? Wenn also der Mitarbeiter nun ein Jahr lang einen tollen Job gemacht hat, ihm aber blöderweise ein Leuchtturmprojekt abgestürzt ist, wäre es ziemlich unfair, sich bei der Beurteilung ausschließlich auf diesen Fehler zu stützen. Passiert in der Realität aber leider sehr oft und ist ein grober Führungsfehler, der sogar dazu führen kann, dass gute Mitarbeiter frustriert kündigen oder sich demotiviert in sich selbst zurückziehen.

Reden wir also über Feedbackkultur. Sich als Firma damit zu schmücken, ist ja grade schwer angesagt. Leider reicht es nicht, wenn man das als Bonusfeature in die Stellenausschreibung schreibt oder in Vorstellungsgesprächen damit angibt (das finde ich sogar eher bedenklich, offenes Feedback sollte eine Selbstverständlichkeit sein, keine Employer Branding-Maßnahme und damit anzugeben hat oft etwas Verzweifeltes).

Eine Feedbackkultur lässt sich nicht verordnen oder erzwingen, denn die Geschäftsführung einer Firma hat immer die Möglichkeit, über den Job und damit die Existenzgrundlage ihrer Mitarbeiter zu entscheiden – ein sehr ungleiches Machtverhältnis. Es wird also nichts helfen, wenn sich das Management ins All Hands-Meeting stellt und dort verkündet, dass man ab sofort gerne offenes Feedback geben und bekommen möchte, auch wenn es noch so ehrlich gemeint ist. Die Voraussetzung für eine offene Feedbackkultur ist ein bestehendes Grundvertrauen in die Unternehmensführung, und das aufzubauen ist mühsam und langwierig – und manchmal schon durch ein unbedachtes Wort wieder zerstört. Vertrauen erfordert von oben vorgelebte Fairness, Transparenz, Disziplin und Verbindlichkeit. Erst wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass die Entscheidungen ihrer Führungskräfte für sie nachvollziehbar und somit berechenbar sind, werden sie vorsichtig anfangen, auszuprobieren, wie offen sie sein können. Und erst wenn ihr Feedback professionell angenommen und umgesetzt wird, werden sie sich trauen, übers Eingemachte zu reden.

Es gibt viele Tipps und Anleitungen zum Thema “richtig Feedback geben”. Wir wissen, dass man sich dabei wertschätzend verhält, Ich-Botschaften sendet, konstruktiv ist und natürlich auf der Sachebene bleibt… Googelt den Rest. Viel spannender finde ich persönlich die Frage, wie man kritisches Feedback professionell annimmt. Das ist nämlich nicht so leicht, wie es sich anhört, und wenn man das nicht kann, war es im Zweifelsfall das letzte Mal, dass der Kollege oder Mitarbeiter so ehrlich war. Niemand, wirklich NIEMAND! hört gerne, dass er etwas falsch gemacht hat. Trotzdem gilt: Feedback ist ein Geschenk. Man sollte immer im Kopf haben, dass es den Gegenüber vermutlich viel Überwindung gekostet hat, seine Kritik anzubringen. Noch schwieriger wird es, wenn das Feedback an jemanden auf einer höheren Hierarchiestufe geht. Wertschätzt den Mut, den der andere hatte! Das beginnt schon damit, dass man seine Gesichtszüge unter Kontrolle behält und den anderen ausreden lässt, anstatt ihm ins Wort zu fallen, Kritikpunkte abzustreiten oder zu schmollen. Hört zu und bedankt euch für die Offenheit. Ihr könnt nach dem Gespräch immer noch in Ruhe überlegen, ob ihr das Feedback für angemessen haltet und was ihr davon umsetzen wollt oder auch nicht, oder ob ihr ein Folgegespräch möchtet (von einer direkten Stellungnahme würde ich im Zweifelsfall abraten, wenn die Gefahr besteht, dass das Gespräch die Sachebene verlässt und emotional wird). Und nein, ich kriege das leider auch nicht immer hin.

Ach, und noch was: Je höher die Hierarchieebene, umso geringer wird die Zahl der Kollegen, die ehrliches kritisches Feedback geben. Das hat zur Folge, dass sich viele Manager früher oder später selber nicht mehr hinterfragen, denn das menschliche Ego blendet negative Erlebnisse langfristig aus. Das schützt den eigenen Selbstwert, endet manchmal aber leider auch in unangebrachter Selbstherrlichkeit. Liebe Führungskräfte, Gründer, C-im-Namen-Haber, Geschäftsführer etc.: Eine offene Feedbackkultur in eurem Team/ Abteilung/ Unternehmen gibt euch auch die Chance der persönlichen Weiterentwicklung, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Just my two cents…

Zum Abschluss möchte ich euch noch die agilen Werte vorstellen, denn Feedback ist einer davon, die anderen sind aber genauso wichtig, verdienen Aufmerksamkeit und adeln jede Unternehmenskultur. Abgesehen davon werde ich in späteren Artikeln sicher nochmal auf sie zurückkommen, also freundet euch ruhig schon mal an:

1. Commitment:

Verpflichte dich deiner Aufgabe und deinem Ziel und halte deine Zusagen ein. Sei verbindlich in deinen Aussagen und deinen Kollegen gegenüber.

2. Einfachheit:

Die einfachste Lösung ist oft die beste und schafft den größten Nutzen und den höchsten Mehrwert für den Verwender.

3. Feedback:

Präsentiere und diskutiere deine Arbeit früh und oft, hol dir Rückmeldungen ein und passe deine Handlungen bei Bedarf an.

4. Fokus:

Konzentriere dich auf das Wesentliche, um deine Zusagen einzuhalten.

5. Kommunikation:

Sprecht im Team offen und arbeitet zusammen an den anstehenden Themen, um die beste Lösung zu finden.

6. Mut:

Erzähle die Wahrheit über den Status Quo deiner Arbeit, auch wenn es Schwierigkeiten gibt. Hab den Mut, die agilen Werte zu leben.

7. Offenheit:

Jeder Prozessschritt kann mit agilen Methoden transparent dargestellt werden. Trage dazu bei, indem du alle Informationen offen teilst und es wertschätzt, wenn dein Team Wahrheit und Ehrlichkeit lebt.

8. Respekt:

Alle Menschen sind verschieden und bringen unterschiedliche Erfahrungen in ihr Team ein, die allen an der Arbeit Beteiligten Mehrwert schaffen. Respektiere daher alle anderen Meinungen.

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