Über Zielkonflikte und Komfortzonen
In vielen Unternehmen wird die Personalabteilung von den Mitarbeitern gar nicht oder negativ wahrgenommen. Im besten Fall stimmt das Gehalt, ist pünktlich auf dem Konto und an sonsten belästigt einen HR bitte möglichst wenig, denn wenn Business und Verwaltung zusammentreffen, kracht es gerne. Logisch: Die Geschäftsbereiche machen den Umsatz und haben ein berechtigtes Interesse an reibungslosem und schnellem Support durch die Verwaltung, die vor allem Geld kostet und erst mal keinen wirtschaftlichen Mehrwert liefert. Umgekehrt sind grade Personaler durch rechtliche Vorgaben stark (über-)reglementiert und rutschen so häufig in die Rolle der Nein-Sager und Blockierer (“Prozessnazi” und “Reichsbedenkenträger” waren z. B. die weniger feinen Ausdrücke, die mir in diesem Zusammenhang schon begegnet sind. Wer diese um weitere kreative Schmähungen ergänzen möchte, kann dafür gerne die Kommentarfunktion nutzen 😉 ).
Der absolute Klassiker in diesem Zielkonflikt sind übrigens Einstellungen: Der Hiring Manager hat nach vielen nervigen Interviews und wochenlanger Überlastung seines Teams endlich einen passenden Bewerber gefunden und der könnte sogar schon im kommenden Monat anfangen, wenn er in den nächsten beiden Tagen den Arbeitsvertrag bekommt, damit er kündigen kann. Bull’s eye! Hopp hopp, liebes HR-Team, so ein Vertragstemplate ist schnell angepasst, das kriegt ihr doch bis morgen hin? Doch von HR kommt nur die wenig euphorische Rückmeldung, dass es leider nicht möglich ist, den Vertrag diese Woche noch an den Bewerber zu schicken, weil a) die Anhörungsfrist des Betriebsrates eine Woche dauert oder b) derzeit niemand im Haus ist, der unterzeichnungsberechtigt ist oder c) das Budget noch nicht geklärt ist… und so weiter und so fort. Der Hiring Manager flucht. Was interessieren ihn irgendwelche internen Prozesse? Er hat dem Kandidaten schon zugesagt und wenn der ihm jetzt abspringt, geht die Suche von vorne los – von dem unangenehmen Gespräch, was er jetzt mit ihm führen muss mal ganz abgesehen. Also ab zum Personalleiter, der Fall muss eskaliert werden, und schon hängt der Haussegen schief.
(Praxistipp: Dieses Problem lässt sich in der Regel mit einem professionell aufgesetzten und unterschriebenen Letter of Intent vermeiden. Dieser sollte die wichtigsten Rahmenbedingungen des Arbeitsvertrages enthalten und unter Vorbehalt der noch zu klärenden Fragen ausgestellt werden.)
Kommen wir nun zum agilen Teil. Was sind denn überhaupt agile Methoden, und was sollen die bringen? Wer sich noch nie mit dieser Frage beschäftigt hat, dem fallen jetzt vielleicht noch die Begriffe Scrum oder Kanban ein, über die sind die Meisten von euch vermutlich schon mal gestolpert. Beides sind unterschiedliche Formen des agilen Arbeits- bzw. Produktionsmanagements, in der Praxis werden auch häufig Mischformen angewandt.
Scrum ist ein enges Regelwerk, in dem der Ablauf eines Projektes gesteuert werden kann. Im Gegensatz zum klassischen Projektmanagement wird das angepeilte Ergebnis nicht am Stück erarbeitet, sondern iterativ, also in kleinen Schritten. Dabei wird der Status Quo regelmäßig hinterfragt und das Planziel auch an geänderte Rahmenbedingungen angepasst. Damit das Ganze nicht in wildes Chaos ausartet, erfordert Scrum sehr viel Disziplin von allen Beteiligten. Die notwendige enge Abstimmung untereinander und die damit verbundene Transparenz über die laufenden Vorgänge schaffen dafür aber auch großes Verständnis für Feedback und eine offene, sachliche Kommunikation im Team.
Kanban wurde in den 50er Jahren von Toyota eingeführt, um die Effizienz des Produktionsprozesses zu verbessern. Durch das Einhalten von wenigen einfachen Grundprinzipien werden dabei Redundanzen vermieden und standardisierte Vorgänge optimiert (wer sich detaillierter für die Entwicklungsgeschichte von Kanban interessiert, sei hiermit ganz dröge an Wikipedia verwiesen).
Die Grundidee ist also mitnichten in der IT entstanden. Da Techies aber schlaue Leute sind, haben sie schnell verstanden, welchen Mehrwert sie damit schaffen können. Und so haben Ken Schwaber und Jeff Sutherland, die Erfinder der Scrum-Methodik, ihren Auftrag, die Softwareentwicklung effizienter zu gestalten, umgesetzt, in dem sie den Scrum GuideTM entwickelt haben, den offiziellen Leitfaden zur Scrum-Anwendung.
Fassen wir zusammen: Agile Methoden dienen der Optimierung von Projekten und Prozessen durch enge Abstimmung unter vorgegebenen Regeln. Transparenz und Flexibilität sind dafür notwendige Voraussetzungen. Personalabteilungen hingegen sind in der Regel rechtlich und finanziell stark reglementiert, dadurch sehr prozessorientiert und arbeiten daher eher statisch und wenig kundenorientiert.
Wenn man nun als Personaler einen spürbaren Mehrwert für das Business schaffen möchte, liegt es eigentlich schon auf der Hand, sich auch agiler Methoden zu bedienen, um den eigenen Service zu verbessern. Die Frage, die sich jeder im Unternehmen stellt, lautet schließlich: Da sitzen x Personen in der Personalabteilung, was machen die eigentlich den ganzen Tag? Schon aus Selbstschutz sollte meiner Meinung nach jede Personalabteilung ihre Bunkermentalität schleunigst ablegen und für so viel Transparenz und fachübergreifende Kommunikation wie möglich sorgen. Das geht, auch unter der Wahrung von Diskretion und dem Einhalten rechtlicher Rahmenbedingungen wie z.B. dem Datenschutz. Und ja, das tut weh. Schließlich gibt einem Hoheitswissen ja auch immer ein wenig das Gefühl, unersetzlich zu sein, nicht wahr?
Hier ein paar bewährte Beispiele aus der Praxis:
In öffentlich zugänglichen Dashboards können die Mitarbeiter den Bearbeitungsstatus ihrer Anfrage einsehen. Ja, das ist mehr Pflegeaufwand, aber im Nachhinein muss man keine Folgemail beantworten, wieso denn das Zeugnis nach zwei Wochen noch nicht fertig ist. Hat doch auch was, oder? Außerdem kann man daraus bei Bedarf auch wichtige KPIs wie z. B. Workload oder Bearbeitungszeit ableiten und hat damit eine Argumentationsgrundlage für die nächste Headcount-Diskussion mit der Geschäftsführung.
HR-Projekte kann man ganz wunderbar mit agilen Tools (z. B. mit einem Scrum Board, Daily Standups oder Weeklys) bearbeiten. In der Regel sind die Projektdaten auch nicht vertraulich, so dass man beim Einsatz entsprechender (kostenfreier) Tools wie z.B. Trello, Asana etc. nicht kryptisch werden muss. Wenn man eher haptisch unterwegs ist (so wie ich), tut es auch eine Metawand mit bunten Post Its im Büro.
Kommunikation und Feedback sind superwichtige Themen, die jede Personalabteilung ins Unternehmen tragen sollte, nicht umgekehrt. Aber wie soll das gehen, wenn man schon im Team keine Feedbackkultur hat? Wir haben dieses Problem seinerzeit u.a. mit Retrospektiven (Retros) gelöst. Ich weiß, ich hatte in meinem vorherigen Artikel schon angeteasert, dass ich in diesem Artikel etwas mehr dazu schreibe, mir ist aber grade klar geworden, dass hier schon eine ganze Menge Text steht und ich dringend zum Ende kommen muss. Da mir dieses Thema aber zu wichtig ist, um es mit einem Fünfzeiler abzuspeisen, muss ich euch leider nochmal um ein paar Tage vertrösten.
Abgesehen von den oben genannten Beispielen erhöht eine Auseinandersetzung mit den agilen Methoden auch die Nähe zum Produkt und den Kollegen, die damit arbeiten, und das ist ein in vielen Personalabteilungen stark vernachlässigter Punkt. Also traut euch, liebe Personalkollegen, und verlasst eure Komfortzone. Es lohnt sich!
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