Vor einiger Zeit habe ich während meiner Ausbildung zum Scrum Master das Konzept des servant leadership kennengelernt. Da ich dieses Prinzip sehr schätze und sich viele Elemente daraus bei guten Führungskräften wiederfinden, auch wenn diese in keiner ausgesprochen agilen Umgebung arbeiten, möchte ich euch heute etwas mehr davon erzählen:
Die Grundidee, dass der Herrscher der erste Diener des Staates sei, hat schon Friedrich der Große im frühen Mittelalter formuliert. Wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wurde das Konzept von Robert Greenleaf 1958 nach der Lektüre von Herrmann Hesses Erzählung „Die Morgenlandfahrt“. In „Die Morgenlandfahrt“ geht es um eine Gruppe Reisender, die von Leo, dem Diener begleitet werden. Leo unterstützt die Reisenden umfangreich, doch unaufdringlich. Nach seinem Verschwinden fällt die Reisegruppe auseinander und die Reise wird abgebrochen.
Robert Greenleaf (1904-1990) hat sich Zeit seines Lebens mit Arbeitsethik und Führung auseinandergesetzt und stand dem klassischen autoritären Führungsstil sehr kritisch gegenüber. Sein philosophischer Essay „The Servant as a Leader“ von 1970 wurde zu einem Buch weiterentwickelt und gilt heute als eines der wichtigsten Managementbücher der Neuzeit: Der servant leadership Ansatz wird sowohl in Wirtschaft als auch in Wissenschaft immer wieder aufgegriffen, seine Popularität nimmt im gleichen Maß zu, in dem der autoritäre Führungsstil der 90er Jahre abnimmt. Bekannte Verfechter des servant leaderships sind z.B. Peter Drucker oder der ehemalige Personalvorstand der Deutschen Telekom Thomas Sattelberger.
Die Idee des servant leaders:
Der klassisch-autoritäre Führungsansatz setzt ein Machtgefälle zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft voraus. Die Führungskraft entscheidet alleine und delegiert top down. Das geht schnell und muss auch nicht zwingend schlechte Arbeitsergebnisse nach sich ziehen. Wie aber auch aus der aktuellen diversity Debatte zu entnehmen ist, sind Ergebnisse oft qualitativ besser, wenn die Herangehensweise vor der Umsetzung von heterogenen Gruppen diskutiert wurde. Dieser Faktor entfällt bei autoritärer Führung, dazu kommt das Risiko des Machtmissbrauchs und eine tendenziell geringere Mitarbeiterzufriedenheit.
Das „Servant Leadership Prinzip“ ist ein systemtheoretischer Ansatz, der das komplexe soziale Gefüge und die daraus resultierenden Abhängigkeiten von Mitarbeitenden und Führungskraft als Ganzes betrachtet. Führung ist ein Teil von Zusammenarbeit auf Augenhöhe, es gibt regelmäßigen Austausch von Feedback. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, den Mitarbeitenden den Weg für eine optimale Arbeitsleistung freizumachen. Dies impliziert neben dem Beseitigen von Blockern wie z.B. das Schaffen von Strukturen und Bereitstellen von Ressourcen auch die persönliche und an den individuellen Potentialen der Mitarbeitenden ausgerichtete Weiterentwicklung aller Teammitglieder, und das lässt mein Personalerherz natürlich höher schlagen: Die Führungskraft wird zum Coach und Mentor des Teams.
Als persönlicher Pluspunkt kommt für mich außerdem dazu, dass man als Führungskraft im servant leadership Kontext keine „Rampensau“ sein muss, sondern dem Team das Spotlight und die Lorbeeren überlassen kann, was meiner introvertierten Persönlichkeitsstruktur eher entspricht.
Dazu kommt wie bereits erwähnt die höhere Mitarbeiterzufriedenheit, die mit der dienstleistenden Führungskraft einhergeht: Eine Metauntersuchung des Zusammenhangs von 14 verschiedener Führungsstile auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden ergab die zweithöchste Jobzufriedenheit in einer servant leadership Umgebung (Quelle).
Kritik:
So ganz ohne Manöverkritik kommt mir die Theorie des servant leaderships dann doch nicht davon: Wie bei allen Entscheidungen, die basisdemokratisch getroffen werden, besteht in der betrieblichen Praxis die Gefahr, dass man sich in Diskussionen verliert und Entscheidungen nicht oder zu spät getroffen werden. Dies zu kontrollieren setzt starke moderierende Fähigkeiten der Führungskraft voraus, zudem muss der leader priorisieren und entscheiden können, denn nicht immer macht es Sinn, Themen in das Team abzugeben. Ich persönlich behalte mir in der Führungsrolle auch das „letzte Wort“ vor; am Ende muss ich die getroffene Entscheidung gegenüber dem Management vertreten und verantworten.
Dazu funktioniert servant leadership nur in offenen Organisationsformen mit einer toleranten Fehlerkultur, flachen Hierarchien und kurzen Entscheidungswegen, in denen die Mitarbeitenden den notwendigen Freiraum zur Entwicklung und zum Ausprobieren haben. Und hier schließt sich der Kreis zu den agilen Organisationen dann wieder. In diesem Sinne… :)
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